Das Masernschutzgesetz – Ist eine Impfpflicht wirklich nötig?

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Hintergrund: Politische Rahmenbedingungen

Seit gestern (1. März) ist das neue Masenschutzgesetz in Kraft getreten. Dieses hat die Impf-Debatte in Deutschland wieder neu entfacht. Die zentral kommunizierte Botschaft lautet: wer nicht gegen Masern geimpft ist, darf nicht in den Kindergarten oder die Schule eintreten. Ein solches Vorhaben ist natürlich Wind auf die Mühlen entschiedener Impfgegner, die sich nun einem Staat gegenüber sehen, der Impfen zur Pflicht macht.

Es lohnt sich jedoch in jedem Fall, das Gesetz in seiner vollen Länge zu lesen und zu verstehen, auch wenn viele der weiteren Aspekte in den Medien nur wenig Echo finden. Dort finden sich nämlich weiterhin folgende Vorschläge

  • Alle Ärzt*innen (mit Ausnahme der Zahnärzt*innen) dürften von nun an die Schutzimpfungen durchführen
  • Eine elektronische Dokumentation (in Form eines digitalen Impfpasses) sollte möglich gemacht werden
  • Apotheker*innen soll ermöglicht werden, die Grippe-Schutzimpfung durchzuführen
  • Der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) soll vermehrt die Möglichkeit erhalten, Schutzimpfungen an Schulen durchzuführen
  • Krankenkassen sollen zudem Boni für die Wahrnehmung von Impfungen prüfen
  • Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) soll die Bevölkerung vermehrt über Impfen informieren

impfen_masernschutzgesetzDurch diesen Blick wird deutlich, dass die Gesetzesvorlage durchaus auch andere Maßnahmen berücksichtigt, die weniger in persönlich-körperliche Rechte eingreifen und verpflichtend sind. Ein solches Vorgehen ist durchaus zu begrüßen, da es die Gefahr von Reaktanz der Bürger*innen reduzieren kann.

Status quo und Fakten zu Impfquoten in Deutschland

Ehrlich gesagt ist auf Basis der aktuellen Studienlage erst einmal wenig ersichtlich, warum in dem Gesetz das Thema ‚Masern‘ so sehr fokussiert wurde. Ja, eine Masern-Erkrankung kann wirklich sehr schwerwiegend und mitunter tödlich verlaufen, jedoch zeigen Daten des Robert-Koch-Instituts, dass die Impfraten für Masern als einzige der Kinderimpfungen in den letzten Jahren sogar leicht gestiegen sind und über den Raten anderer Impfungen liegen (siehe Abbildung 1).

Was jedoch viel entscheidender ist, ist die Erkenntnis, dass Folgeimpfungen (bei Masern also die zweite Schutzimpfung) mit einer wesentlich niedrigeren Quote einhergehen als die erste Kinderschutzimpfung.

Impfquoten_Deutschland

Weiterhin entscheidend ist, dass über Kinderschutzimpfungen hinaus, die mit in der Regel mehr als 90 % wenn auch nicht optimale, so aber zumindest wesentlich höhere Raten erreicht werden als bei HPV-Impfungen, Auffrisch- oder Erwachsenenimpfungen oder Impfungen für Senioren und Risikogruppen. Weiterhin bemerkenswert ist, dass selbst medizinisches Personal zu geringe Impfquoten für indizierte Impfungen, wie zum Beispiel Influenza aufweist.

Der Hauptgrund für niedrige Impfquoten sind nicht die Impfgegner

Im Kontext zu niedriger Impfquoten in Deutschland nehmen medial insbesondere Impfgegner oder auch Impfskeptiker eine sehr dominante Rolle ein. Schaut man jedoch nüchtern auf die Zahlen, macht die Gruppe der Impfgegner nur einen sehr geringen Teil der Nicht-Geimpften aus. Außerdem konzentriert sich ein Großteil der Debatte auf niedrige Quoten bei der Masernimpfung für Kinder. Die Quoten für Auffrischimpfungen für Erwachsene (wie z.B. Pertussis/Keuchhusten) oder gar die Grippeschutzimpfung für Senioren, medizinisches Personal oder Immungeschwächte sind jedoch noch wesentlich niedriger.

Beobachtet man die gängigen Maßnahmen zur Steigerung von Impfquoten beziehen sich diese vor allem auf mehr Aufklärung in Form von mehr Information und das Steigern der Aufmerksamkeit (BZgA-Kampagne: „Deutschland sucht den Impfpass“). Das Grundverständnis, was dahinter steckt ist: Wir müssen Menschen Impfen mehr ins Bewusstsein rufen und sie mehr über den Nutzen aufklären.

Wirft man jedoch einen genaueren Blick, warum Menschen nicht geimpft sind, wird deutlich, dass die häufigsten Gründe für eine ausbleibende Impfung eben nicht ein Widerwillen ist, sondern die Bürgerinnen und Bürger gar nicht wissen, dass und welche Impfungen sie benötigen, bzw. dass sie es einfach vergessen oder zu bequem sind zum Arzt zu gehen.

Es stellt sich die Frage, ob auf Basis dieser relativ trivialen Gründe die bisherigen Maßnahmen über mehr Aufklärung und Schaffen von Aufmerksamkeit tatsächlich die richtigen Wege sind.

Warum die anderen Vorschläge neben der Impflicht mindestens genauso wichtig sind

Wenn ihr unseren Ansatz bereits kennt, setzen wir ja eigentlich in allen Maßnahmen zur Förderung von Gesundheit und Wohlergehen auf Interventionen, die dieses Verhalten einfacher und attraktiver machen, gleichzeitig aber die Wahlfreiheit für jeden Einzelnen erhalten bleibt. Diese Kriterien erfüllt das nun in Kraft getretene Masernschutzgesetz nun offensichtlich nicht mit der eingeführten Impfpflicht. Doch wie bereits in der Einleitung angedeutet, finden sich viele andere Vorschläge, die tatsächlich Impfen in Zukunft einfacher und auch attraktiver machen werden.

Wenn alle Ärzt*innen (also auch ich 😊) in Zukunft impfen dürfen, gibt es mehr Möglichkeiten geimpft zu werden. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass man sich „eine Impfung abholt“. Weiterhin sollen Schutzimpfungen an Schulen durch den ÖGD verstärkt werden. Das bedeutet, dass Kinder dort geimpft werden, wo sie ohnehin schon sind, Eltern also keine zusätzliche Zeit dafür einplanen müssen und sich die Kinder wahrscheinlich sogar darauf freuen, da für eine kurze Zeit der Unterricht ausfällt. Früher waren Schluckimpfungen an Schulen tatsächlich die Regeln und die Kinder freuten sich sogar, weil diese immer mit einem Stück Würfelzucker verabreicht wurden.

Ähnliches gilt für die Idee, dass auch Apotheker*innen in Zukunft die Grippe-Impfung verabreichen dürfen. Auch das halte ich für einen sehr sinnvollen Weg, da gerade Senioren häufiger in der Apotheke sind und sie durch eine solche Möglichkeit lange Wartezeiten in Arztpraxen vermeiden können und damit ihr Ansteckungsrisiko (gerade in der Winterzeit) reduzieren können.

Weiterhin ist häufig ein großes Problem für Arzt und Patient, den exakten Impfstatus herauszufinden (Stichwort: „Deutschland sucht den Impfpass“). Der Anstoß, den Impfstatus nun digital festzuhalten, stellt daher für beide Seiten einen enormen Mehrwert dar. Gleichzeitig können solche digitalen Werkzeuge auch dazu genutzt werden, um Erinnerungen für weitere Impfungen einzustellen. Eine nachgewiesen sehr effektive Maßnahme, um Impfungen nicht mehr zu vergessen.

Ein weiterer begrüßenswerter Vorschlag ist die Überlegung, von Seiten der Krankenkassen ein Bonus-System für Impfungen einzuführen. Auch dieses halte ich für sehr sinnvoll. Hierbei sollten sowohl Boni für Bürger*innen, als auch Ärzt*innen eingeführt werden, um Impfen für beide Seiten attraktiver zu machen. Gerade für Impfungen, die mehrmals verabreicht werden müssen (wie z. B. Masern oder Pneumokokken), könnte man zum Beispiel abwägen, dass der Bonus je wahrgenommener Folgeimpfung immer größer wird.

Fazit: Ist die Masern-Impfpflicht nun sinnvoll?

Unser Kriterium der Wahlfreiheit wird durch die Impfpflicht nun einmal nicht erfüllt. Daher hätten wir auch erst einmal die anderen Wege, die sich im Gesetzesvorschlag finden, bevorzugt, da wir hier bereits ein enormes Potential sehen, um Impfquoten ohne Pflicht zu steigern. Ich persönlich sehe in der Einführung der Pflicht nicht nur die Gefahr der Reaktanz, sondern kann mir auch vorstellen, dass ggf. Impfungen vorgetäuscht werden (also eine Dokumentation vorgelegt wird, das Kind jedoch in Wahrheit diese Impfung gar nicht erhalten hat). Dies kann im Falle eines Masernausbruchs zu der unschönen Folge führen, dass eine Immunisierung angenommen wird, der aber in Wirklichkeit gar nicht existiert.

Wir begrüßen insbesondere die im Gesetz enthaltenen Punkte, die nicht auf eine Impfpflicht abzielen, sondern versuchen, Impfen in Deutschland einfacher und attraktiver zu machen. Es bleibt abzuwarten, welche dieser Maßnahmen dann auch wirklich durch die verschiedenen Akteure (Ärzt*innen, Apotheker*innen, Krankenkassen) eingeführt werden und welchen Effekt diese erzielen. Daher sollten diese nun kritisch ausgewertet werden.
Das Ziel aller Akteure sollte in jedem Fall sein, Impfquoten (nicht nur für Kinder) weiter zu steigern. Da wird meiner Meinung nach aktuell noch viel Potential verschenkt. Gleichzeitig sollte sich die Aufmerksamkeit aller Akteure auch nicht zu sehr auf Masern fokussieren. Bei anderen Impfungen liegen die Quoten noch wesentlich tiefer (siehe Abbildung 1). Auch diese sollten vermehrt berücksichtigt werden, wie zum Beispiel die Grippe-Impfung, bei der wir in Deutschland im internationalen Vergleich unterirdische Werte aufweisen. Mein Wunsch ist es, dass wir keine Ausbrüche von Masern oder wie aktuell das Corona-Virus haben, um die Bedeutung von Impfungen in der Bevölkerung zu erkennen.

Wo finde ich tiefergehende Literatur zum Thema?

Mathias Krisam

Autor: Dr. Mathias Krisam

Arzt und Geschäftsführer von läuft
Schreib dem Autor für Feedback oder weitere Fragen zum Thema: mathias.krisam@laeuft.eu

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